Mittelalterliche Plaggenwirtschaft in Westerenger
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December 2023
Schon in der Schule begeisterte mich das Wissen um die naturräumlichen Gegebenheiten im Ravensberger Hügelland und einige Seminare während unseres Studiums der Disziplinen Geschichte, Germanistik, Geografie und Biologie stießen nicht zufällig in die gleiche Kerbe. Wir lieben es landschaftliche Strukturen wahrzunehmen und zu deuten. – Auch direkt vor unserer Haustür:
Tritt man aus unserer Hofeinfahrt auf die Landstraße, so fällt das Gelände gen Norden ab und unser Blick fällt auf den alten Drubbel Westerengers. Hier liegen noch vier Höfe locker verstreut, ursprünglich einen Steinwurf voneinander entfernt. Man sagte über die Ostwestfalen, dass sie in ihrem Eigenbrödlerischen durchaus ein klein wenig Abstand zueinander benötigen würden. Dieser alte Drubbel (in der Bedeutung, dass sich z.B. Termine drubbeln, ist das Wort auch heute noch in Gebrauch) umfasste im Spätmittelalter neun Höfe, geht aber möglicherweise auf vorfränkische Zeit zurück. Der Verlauf der alten Dorfstraße ist noch erhalten, fast parallel zu einem kleinen Bachlauf, welcher mit Sicherheit auch als Infrastruktur (z.B. zum Waschen) genutzt wurde.
Ein Brand im Jahr 1855 hatte verheerende Auswirkungen und führte dazu, dass zwei der Höfe in größerer Entfernung neu aufgebaut wurden- unserer war einer dieser Höfe.
Geht der Weg aus dem Tal des kleinen Baches, welcher später in den Engeraner Bruchgraben mündet, wieder etwas aufwärts, in Richtung des Friedhofes, so ist der Straßenname hier Programm für das, was man sieht: zum Esch. Diese mittelalterliche Bewirtschaftungsform lässt sich noch heute als Struktur der Landschaft durch die Wölbung erkennen. Hier wurde in direkter Nähe zum Drubbel jahrhundertelang Ackerbau betrieben. Dreifelderwirtschaft war hier in Nordwestdeutschland nicht verbreitet, die Ostwestfalen betrieben ewigen Roggenbau. Dies wurde möglich, indem die Einstreu aus den Ställen als Düngemittel auf die Felder ausgebracht wurde. Da so permanent Material nachgeliefert wurde, wuchs der Acker in die Höhe – in 1000 Jahren um 1m, was sich heute noch am Bodenprofil nachweisen lässt.
Doch woher stammte damals die Einstreu? Diese wurde in den Heiden abgeplaggt. Heiden gehörten zu den Marken, die man in Süddeutschland Allmenden nannte, den Flächen der Allgemeinheit. Der Boden hier wurde in Plaggen abgestochen (vergleichbar mit Rasensoden) und in die Ställe gebracht. Die Tiere standen so trockener, die Äcker wurden in der Folge gedüngt. Diese Arbeitsschritte waren mit enormer körperlicher Anstrengung verbunden und der Begriff „Plackerei“ wird noch heute in diesem Zusammenhang von uns verwendet. In den abgeplaggten Marken verarmte der Boden, da die humose Bodenschicht immer wieder entfernt wurde. Es entstand die Heide - so auch in Westerenger. In Ostwestfalen begegnet uns diese Begrifflichkeit immer wieder bei der Bezeichnung von Ortsteilen. Diese sind immer später besiedelt und liegen etwas abseits vom Besiedlungsursprung. Auch in Familiennamen ist der Begriff Heide hier in der Gegend allgegenwärtig z.B. in Heidemann, Heidbreder, Aufderheide und anderen…
Wir kennen heute die Heide als eine Fläche, auf welcher das Heidekraut wächst. Diese anspruchslose Pflanze kommt gut auf mageren und sandigen Böden zurecht und hatte sich auch auf den menschengemachten mittelalterlichen Heiden ausgebreitet. Das Verschwinden dieser Lebensräume in unserer Gegend schmälert die Artenvielfalt, dennoch ist Heide eine Kulturlandschaft, welche ohne Eingriff des Menschen bei uns nicht vorkäme, auch die Lüneburger Heide muss deshalb zwingend beweidet werde, will man diese erhalten.
Mit der Auflösung der Marken (hier ungefähr um 1810) und dem Einsatz anderer landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsformen (z.B. Fruchtfolge) verschwand diese Bewirtschaftungsform nach und nach. In verhältnismäßig armen Landstrichen wie z.B. der Senne geschah dies zum Teil erst Anfang des letzten Jahrhunderts.