Philosphischer Einwurf: Wie wird man, wer man ist….

Philosphischer Einwurf: Wie wird man, wer man ist….

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April 2022

Meine Omas hätten unterschiedlicher nicht sein können und doch staune ich immer wieder, wie viel von den beiden in mir zusammen vermischt auftaucht.

Mit Begeisterung habe ich Verhaltensbiologie studiert. Eine der wichtigen Fragenstellungen von Unbeteiligten war zu der Zeit noch häufig die, ob das Verhalten denn nun vererbt oder anerzogen sei. – Mein sehr geschätzter Professor (der übrigens auch hier aus dem Ort stammt) benutzte als Antwort immer das Bild des Kuchens, bei welchem sich ja auch nicht die Frage stelle, ob dieser nun durch das Rezept oder durch die Zutaten entstünde. - Genauso sei es bei den Menschen. – Mittlerweile hat uns der spannende Bereich der Epigenetik bei all diesen Fragen neue Erkenntnisse gebracht, die ich mega spannend finde.

Also kann auch ich natürlich nicht sagen, ob mich mein Erbgut, oder meine Erziehung zu dem gemacht haben, was ich bin. Fest steht, dass es mir recht leicht fällt, Eigenschaften meiner Großmütter an mir selbst wieder zu entdecken (meine Großväter habe ich nie kennen gelernt). Ich bin sehr dankbar dafür auf diese Art meine Wurzeln zu spüren.

Die Typen meiner Omas lassen sich in dem Buch „die Stadtmaus und die Landmaus“ wiederfinden. – Nebenbei: Beide Frauen fand ich großartig!

Die Landmaus: Von der Oma, die in Enger auf einer kleinen Besitzung aufwuchs (das Fachwerkhaus an der Meller Straße steht noch) habe ich wohl das „Verwerter-Gen“ geerbt. (Man verzeihe mir die wenig wissenschaftliche Herangehensweise.) Sie gestaltete alles, was ihr in die Finger kam. - Genau wie ich: mal wurde es schöner, mal weniger schön, Hauptsache es war selbstgemacht. Ich erinnere mich an einen neu angelegten Kräutergarten (da war sie mindestens 75 und das war ja wie heute 85), eine selbst gemachte Sonnenuhr (super), diverse Büsten (naja), bemalte Blumentöpfe (die einen sagen so, die anderen so…).- Es war ihr aber tatsächlich recht egal, wie andere ihre Werke fanden. - Besonders beeindruckt mich heute, dass sie in ihren Räumen die Wände mit großen Gräsern selbst bemalt hatte, was super aussah. (siehe Foto 3.1: Von Omas Gräsern habe ich leider keine Fotos, nur die Erinnerung.- Aber hier seht ihr ein mögliches Äquivalent aus unserem Schlafzimmer.- Dort steht der Anfang von Darwins großartigem Werk „On the origin of species…“ an der Wand.)

– Sie war aber durchaus sehr eigen: so bemalte sie ihre alten Schuhe mit Wandfarbe neu, wenn sie nicht mehr gut aussahen… - Sie hatte Ideen am laufenden Band, guckte bis zuletzt gerne Auslandsjournal und war sehr wissbegierig. Aus meinem Geographiestudium musste ich ihr alles berichten. Sogar, bei meinem letzten Besuch im Krankenhaus für den ich eine Exkursion unterbrach, fragte sie mich im Angesicht des Todes nach meinen neuen Erkenntnissen über das Lipperland aus.- Ach, was habe ich diese Frau geliebt. – Erzogen hat sie mich wenig. Als kleines Kind konnten wir beide meines Erachtens wenig miteinander anfangen.  Sie war keine typische Oma zu der Kinder gerne mal hingehen um sich verwöhnen zu lassen. Sie konnte weder sich noch andere verwöhnen.- Aber wissbegierig war sie, wie verrückt. – Ich denke, vieles, was ich von ihr habe, wird dann wohl eher genetisch angelegt worden sein…

Die Stadtmaus: Der Vater meiner anderen Oma war Kapellmeister beim Militär und so zog die Familie von hier nach dort, lebte aber immer in Städten (Osnabrück, Elberfeld und später Bielefeld). Dadurch, dass ihr Ehemann bei Homann beschäftigt war, hatte die Familie im Bielefelder Westen wohnend sehr früh ein Diensttelefon und einen Dienstwagen (mit Chauffeur- nicht weil sie so vornehm waren, sondern weil mein Opa nicht fahren konnte). Waren die Ölkannen nach der Auslieferungsfahrt leer, standen sie noch einmal über Nacht auf dem Kopf, um die allerletzten Reste aufzufangen und zu verwerten.- (Ja auch hier taucht das Verwerten auf, war meines Erachtens aber vor allem der damaligen Lebensmittelknappheit geschuldet.) Meine Oma war eine begeisterte Vereinsmeierin und im Kleingartenverein und bei der AWO war sie sehr aktiv mit dabei. (Das habe ich eher nicht geerbt). Ich war gerne bei ihr, sie machte mit uns „Stadtdinge“ wie einkaufen und Straßenbahn fahren, aber wir waren auch viel in ihrem Kleingarten. 

Meine Oma konnte alle Handarbeiten und hatte immer viele Projekte gleichzeitig am Start. Freunde und Verwandte wurden von ihr mit den obligatorischen Häkel-Klorollen-Barbies versorgt. Gehäkeltes mochte ich nicht, aber bestricken und vor allem mit Genähtem versorgen ließ ich mich gerne.- Auch meine Mutter nähte viel für mich. Ich selbst bin über das Luftmaschenhäkeln nicht hinausgekommen, stricke durchaus nicht schlecht, habe nur in den letzten Jahren sehr schnell mit Sehnenscheidenentzündungen zu tun gehabt, weshalb diese Technik bei mir (fast) auf Eis liegt. Ich nähe unwahrscheinlich gerne, allerdings halte ich mich (wie beim Kochen auch) nicht so gerne an „Rezepte“, was eine Meisterschaft für mich ausschließt. Die meiste Freude macht mir ohnehin das Kombinieren und Zusammenstellen von Farben und Texturen, sodass ich mit meiner Stofftaschenproduktion ganz gut bedient bin. (siehe Foto 3.2)– Das Handarbeitserbe könnte also tatsächlich anerzogen und abgeschaut sein. Da gab es viele Möglichkeiten zu.- Ist aber ja auch müßig. Da lebe ich etwas, was meine Stadtmaus-Oma sehr gefreut hätte und das gibt wieder mir ein großartiges Gefühl!

Foto 3.2
Die Landmaus & Die Stadtmaus

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